von Andreas Ziörjen
„Wenn Sie mit Vorlieben durchs Leben gehen, aber Ihr Glück nicht von ihnen abhängig machen, sind Sie wach geworden. ... Wachsamkeit, Glück – nennen Sie es, wie Sie wollen - ist der Zustand von Ent-Täuschung. ... Immer, wenn Sie unglücklich sind, haben Sie der Wirklichkeit etwas hinzugefügt.“
Anthony de Mello
Was ist Ent-Täuschung? Wir alle werden nicht gerne enttäuscht. Warum eigentlich? Eine wegfallende Täuschung müsste doch eigentlich etwas Gutes, Richtiges sein. Klar: es geht darum, dass wir als begrifflich/konzeptionell begabte Wesen oft eine Soll-Vorstellung von der Aussenwelt haben, die unvermeidlich nicht immer mit den eintreffenden "Inputs" der Realität überreinstimmt. Wir sind Ent-Täuscht. Gefühlt nicht im Einklang mit dem Dao, dem "Weg", auf dem wir uns befinden. Oder noch besser: Dem Weg, den wir sind, den wir leben oder der "uns" lebt. Zwei Seiten der gleichen Münze.
Ein bekannter Lehrsatz des Buddhismus besagt in einer möglichen Übersetzung: "Leiden (dukkha) ist die Frustration an der Tatsache, dass die eigenen begrifflichen Projektionen nicht stimmen."
Also deshalb möchten wir die Ent-Täuschung vermeiden? Unsere begrifflichen Projektionen können gar nie "stimmen", schlichtweg deshalb, weil die subjektive Realität sich in keine gedanklichen Konzepte zwängen lässt. Ent-Täuschung, geht aber viel weiter: nämlich bis zu unseren Bewertungen dieser Konzepte! Hier finden wir auch den Link zum Glück. Wenn wir unsere Bewertungen nicht einmal aufgeben, sondern nur schon etwas weniger ernst nehmen, entsteht Freiheit innerhalb der ganzen Gebundenheit der alltäglichen, uns umgebenden Realität, der wir nie ausweichen können. Hinter dem nun etwas transparenter gewordenen Schleier unserer Anhaftungen und Urteile scheint das Glück durch.
Wir sind von unserer Gesellschaft darauf konditioniert, unser Glücklichsein von ganz vielen Dingen abhängig zu machen. "Wenn ich den richtigen Partner habe, werde ich glücklich sein!" "Wenn ich mein Geld verliere, dann kann ich nicht glücklich sein!" Ohne dich kann ich nicht glücklich sein!" etc. Ganz viele Beispiele, das kennen wir alle.
De Mello sagt uns also: wir sind programmiert, nicht bedingungslos glücklich sein zu wollen! Wir haben ein System von "bequemen" gegenseitigen emotionalen Abhängigkeiten geschaffen, von denen wir vermeintlich profitieren. Dabei ist die Verbindung des Glücks mit den individuell unterschiedlichen äusseren Bedingungen eigentlich völlig willkürlich. Sobald wir es deshalb schaffen, diese Reihenfolge umzukehren und uns bedingungslos zum Glücklichsein zu bekennen, werden wir auch frei, mit all dieser frei gewordenen Energie das "Richtige" zu wählen. Bei der Lockerung dieser selbst angelegten Fesseln kann uns die Meditation helfen.
Anthony de Mello war der Meister der kurzen Weisheitsgeschichten. Eine sehr gut dazu passende ist die folgende: Eine Karawane zieht durch die Wüste. Am ersten Abend bemerken die Kameltreiber, dass sie nicht genügend Seile zum Festbinden aller Kamele dabei. Eines bleibt übrig. Sie wenden sich an den Händler, der die Karawane leitet. Er sagt ihnen: tut einfach so, wie wenn ihr das Kamel festbinden würdet. Es ist sich so gewohnt, richtig angebunden zu sein, es wird den Unterschied nicht merken. Gesagt, getan. Es funktioniert, das Kamel ist am nächsten Morgen noch da. Als die Karawane aber wieder aufbricht, bleibt es stehen. Die Kamelführer ziehen und stossen, aber es bewegt sich nicht. Da kommt der Händler und sagt: Aber klar, es denkt immer noch, es sei festgebunden. Sobald ihr so tut, als würdet ihr es losbinden, wird es mitkommen. Und so war es.
Eine weitere bekannte Geschichte geht ungefähr so:
Ein Fisch trifft einen anderen und fragt ihn: "Entschuldigung mein Freund, ich suche den Ozean. Kannst du mir sagen, in welche Richtung ich gehen muss?" Der andere Fisch: "Aber du bist im Ozean, schau dich um! Er ist überall um dich herum. Du schwimmst in ihm, du atmest ihn mit deinen Kiemen." Sagt der erste: "Das? Aber das ist doch nur Wasser! Ich suche den Ozean!" und schwimmt weiter.
Wir suchen zu weit. Aussen. Oder sogar innen. Wir denken, wir müssten etwas tun, um glücklich zu sein, etwas haben oder sogar etwas Bestimmtes sein. Anthony de Mello versuchte uns zu zeigen, wie man "bewegungslos auf dem Esel reitet". Wie das geht? Meine Meinung: Zum Beispiel über das Akzeptieren des Moments. Und wenn du merkst, dass du den Moment nicht akzeptieren kannst, akzeptierst du das. Und wenn du dieses Nicht-Akzeptieren nicht akzeptieren kannst, akzeptierst du das. Probiere es einmal aus und beobachte ganz aufmerksam, was dabei in dir geschieht.
Literaturtipps zum Thema Glück: (1) Anthony de Mello - Der springende Punkt (2) Anthony de Mello - Die Fesseln lösen (3) Anthony de Mello - One Minute Nonsense (4) Dusana Dorjee - Mind, Brain and the Path to Happiness.
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