von Andreas Ziörjen
Ohne innere und/oder äussere Wahrnehmung respektive einer wie auch immer gearteten Interaktion mit der Aussenwelt wäre Leben kaum denkbar und auch nicht lebenswert. Das Konzept des Bewusstseins teilt alle Erfahrungen in Subjekt und Objekt, d.h. es muss immer etwas Wahrnehmendes und etwas Wahrgenommenes geben. Das Wahrnehmende (oft der „Beobachter“, oder z.B. in der Bhagavad Gita der „Kenner des Feldes“ genannt) kann sich im normalen Bewusstseinsprozess per definitionem nicht selbst erkennen, da er in dem Moment ja auch „Objekt“ werden müsste und es dann wieder ein „Subjekt“ braucht, das dieses erkennt. Die grossen Mystiker erzählen uns seit Jahrtausenden, dass es dennoch jenseits dieser Dualität einen Zustand gibt, wo eine derartige Erkenntnis oder wohl eher Erfahrung möglich ist. Diesem Zustand, den Patanjali citta-vrtti-nirodhah, also das „zur-Ruhe-Kommen der geistigen Ströme“ nennt, können wir uns über die Meditation annähern.
Unser Gehirn ist ein immens machtvolles Instrument. Die meisten Steuerungs- und Verarbeitungsaufgaben des Gehirns laufen dabei unter- und unbewusst. Das Tagesbewusstsein bekommt also nur einen winzig kleinen, gefilterten Teil der ganzen Prozesse überhaupt mit. Trotz dem allem scheint unser Tagesbewusstsein normalerweise ziemlich unterfordert zu sein, da zumeist die Gedanken relativ unfokussiert bleiben und uns mit nicht zwingend hilfreichen Assoziationsketten überfluten und „zumüllen“. Damit geht ein riesiges Potenzial zur Nutzung unserer vollen geistigen Kapazität verloren. Jon Kabat-Zinn nennt dieses „wandering mind“ in seinem MBSR-Standardwerk als einen der Hauptgründe für die mehr oder weniger leidhaften Zustände, die jeder von uns kennt. Gegenteil des „wandering mind“ ist der „Flow“-Zustand, den ebenfalls jeder in irgendeiner Weise kennen dürfte.
Zentrierungstechniken sind technische Hinführungen oder „Tore“ hin zur Meditation. Üben können wir primär diese Techniken, die tatsächliche Meditation geschieht dann aus sich selbst. In Bezug auf
die yogische Meditationstheorie entsprechen die Zentrierungstechniken den Schritten 5 Pratyahara und 6 Dharana. Da sie somit nur Hinführungen zum eigentlichen
Ziel sind, sind sie weitgehend austauschbar und absolut geeignet, damit auch zu experimentieren und für sich die geeignetsten Techniken zu finden.
Die Zentrierung geschieht immer über ein Meditationsobjekt. Dieses kann sowohl gegenständlicher wie auch übergegenständlicher Natur sein. Beispiele für gegenständliche
Meditationsobjekte sind physische Objekte wie zum Beispiel ein Stein, ein Blatt, ein Baum, eine Kerzenflamme etc. Ein klassisches übergegenständliches Meditationsobjekt ist der Atem, oder auch
das Denken selbst.
Das Meditationsobjekt ist insofern ein Versuch, unsere normalerweise zerstreuten und sich selbst Energie entziehenden geistigen Prozesse auf dieses Objekt hin zu bündeln und zu synchronisieren. Damit tritt bereits eine erste Beruhigung ein, und eine spätere allgemeine Beruhigung dieser sogenannten „vrittis“ kann einfacher eintreten.
Eine bekannte Analogie dazu ist ein Teich mit aufgewühltem Wasser. Schlamm wird durch die Strömungen und Wellen vom Grund aufgewirbelt, das Wasser ist trübe. Wenn der Wind sich legt und die Wellen zur Ruhe kommen, sinken die Partikel im Wasser ab, und der Grund kann erkannt werden.
Das Meditationsobjekt ist ein Hilfsmittel, unsere kreuz und quer laufenden geistigen Strömungen für eine Weile „anzubinden“, so dass das „Wasser“ weniger aufgewühlt wird und die aufgewirbelten Trübungen zur Ruhe kommen können. Dafür kann praktisch jedes äussere oder innere Bewusstseinsobjekt verwendet werden. Einziges Kriterium ist, wie gut es für einen als individuelles Wesen „funktioniert“.
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